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Ratgeber

Warum die Arbeit in der Pflege bei «Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» einzigartig ist

Gwen Gehrecke

Gwen Gehrecke

21. August 2023

lesezeit

15 min

Pflegeexpertin Gwen Gehrecke und Dipl. Pflegefachfrau Debora Wahrenberger erzählen im Interview, wie Pflege zuhause funktioniert und wie sich «Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» von anderen Gesundheitsdienstleistern unterscheidet.

Gwen, Debora, ihr seid bereits von Anfang an bei «Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» dabei. Wie würdet ihr eure Arbeit jemandem erklären, der nicht vom Fach ist?

Gwen Gehrecke und Debora Wahrenberger: Bei «Visit» betreuen wir Menschen in ihrer privaten Umgebung, die eigentlich im Spital sein müssten. So erhalten sie bei sich zuhause die gleiche Behandlung, die sie in der Akutphase im Spital erhalten würden. Ein Ärzte- und Pflegeteam geht regelmässig zu den Patient:innen nach Hause auf Visite, untersucht sie und betreut sie bis zur Genesung.

Für uns Laien etwas ausführlicher: Was ist genau der Unterschied zwischen «Visit» und anderen Gesundheitsdienstleistern wie der Spitex?

Gwen Gehrecke und Debora Wahrenberger: Grundsätzlich setzt die Spitex einen im Spital oder in der Reha begonnenen Auftrag zuhause fort. Wichtig: Es geht dabei nicht um akut medizinische Zustände. Anders ist das bei «Visit». Unser Auftrag ist es, jemanden in einem akuten Krankheitszustand umfassend zu begleiten. Wir betreuen die Patient:innen von dem Moment an, in dem sie über die Notaufnahme ins Spital kommen. Da wird eine erste Diagnose gestellt, darauf basierend eine Behandlung und Therapie gestartet. Die Patient:innen werden in ihren eigenen vier Wänden behandelt, und durch die Telemedizin können wir eine enge Überwachung gewährleisten.

Ihr verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Pflege im Spital. Was hat euch dazu bewogen, beim damals neuartigen Projekt «Visit» mitzuwirken?

Gwen Gehrecke: «Visit» basiert auf der weltweiten «Hospital at Home»-Definition, ist über den Tellerrand hinaus gedacht und leistet einen wertvollen Beitrag zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung. Wir können die Menschen in ihrem gewohnten Umfeld unterstützen und sie befähigen, sich selbst zu helfen. Das finde ich grossartig. Ich schätze die individuelle Betreuung sehr.

Debora Wahrenberger: Ich liebe es, Menschen ganzheitlich zu betreuen – und das ist bei ihnen zuhause etwas völlig anderes als im Spital. Durch «Visit» komme ich in Kontakt mit der Familie der Patient:innen, mit den Angehörigen und dem Wohnumfeld. Aus pflegerischer Sicht gefällt mir, dass «Visit» mir die Möglichkeit gibt, ganze Prozesse mit den Patient:innen durchzuführen. Im Spital habe ich zwar die Gesamtverantwortung für die Patient:innen, aber die Arbeit ist auf verschiedene Fachkräfte aufgeteilt.

Und wie unterscheidet sich der Arbeitsalltag für euch bei «Visit» von der Arbeit im Spital?

Gwen Gehrecke: In der Praxis ist der organisatorische Aufwand bei «Visit» am Anfang grösser. Man muss sich vieles überlegen, an vieles denken und man ist teilweise auf sich allein gestellt. Wenn man erst einmal bei den Patient:innen vor Ort ist, kann man nicht mehr so rasch jemanden aus dem Team etwas fragen. Das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten muss auf jeden Fall da sein. Auch, weil man die Patient:innen nach dem letzten Besuch des Tages erst am nächsten Morgen wieder sieht. Es gibt natürlich die stetige Überwachung durch den telemedizinischen Monitor, aber wenn mir etwas auffällt, kann ich nicht kurz rüber zu ihnen ins Zimmer wie im Spital. Und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Dienst ist enger und von meinem Gefühl her effektiver.

Debora Wahrenberger: Mir bietet «Visit» eine andere Art von Freiheit, weil ich ganz anders an die Arbeit herangehen muss, es ist eine Freiheit unter Verantwortung. Im medizinischen Prozess kann ich bei «Visit» zwar einen individuellen Weg gehen, habe aber das gleiche Ziel wie im Spital. Dazu muss ich weitere Aspekte berücksichtigen: Was für ein Umfeld haben die Patient:innen, wie komme ich am besten dorthin, was ist für meine Kolleg:innen wichtig zu wissen, was erwartet uns vor Ort bei den Patient:innen und so weiter. Ich habe dort zum Beispiel keinen Materialraum, wie im Spital, sondern muss mir überlegen, wie ich ein plötzliches Problem mit dem Material löse, das ich dabei habe oder eventuell aus dem Haus der Patient:innen einbringen kann.

Mit «Visit» seid ihr immer wieder bei den Patient:innen daheim oder unterwegs zu ihnen. Lässt sich «Visit» mit der Arbeit auf der Station im Spital kombinieren?

Gwen Gehrecke: In der theoretischen Arbeit fliessen viele Überlegungen zusammen: Wir haben einige Standards im «Visit» nicht neu erfunden, sondern vom Spital aufs «Visit»-Projekt adaptiert.

Debora Wahrenberger: Ziel und Vision ist, dass «Visit» wie eine «eigenständige Station» funktioniert, wo wir als Pflegeteam voll ausgelastet sind – auch wenn das bei den Patient:innen zuhause ist. In der jetzigen Phase gibt es aber noch Freiräume, dann helfen wir mit Schwerpunkten auf den Stationen des Spitals aus. Die Hauptverantwortung für die Patient:innen auf der Station haben wir aber nicht – auch weil wir bei «Visit» jederzeit abrufbar sein und unseren Auftrag, die «Visit»-Patient:innen via telemedizinischen Monitor zu überwachen, erfüllen müssen. «Visit» ist unsere Hauptaufgabe.

«Visit» läuft bereits seit November 2021, also seit etwas mehr als eineinhalb Jahren. Welche schönen Erinnerungen nehmt ihr aus dieser Zeit mit?

Gwen Gehrecke: Ein schöner Moment war sicherlich, als ich gefragt wurde, am Projekt mitzuwirken. Ich bin sehr dankbar für die Zusammenarbeit im Projektteam, vor allem in der Vorarbeit – das war toll und hat mir sehr viel Spass gemacht. Ein bewegender Moment war für mich, als ich zum ersten Mal bei einem Patienten zuhause war und dort gesehen habe, wie das in der Praxis ist, was wir uns vorher in der Theorie überlegt haben. Es ist immer ein intimer Moment, wenn wir zu den Menschen nach Hause gehen und es gibt natürlich viele schöne Momente. Ich hatte aber auch Erkenntnisse: So wie ich es mir vorgestellt hatte, war ich stark vom Spital ausgegangen und als ich das erste Mal zum Patienten nach Hause ging, merkte ich, dass es alles nicht so schnell geht, wie man es gewohnt war. Man musste beispielsweise erst noch das Sofakissen aufschütteln oder die Katze begrüssen. (lacht)

Debora Wahrenberger: Ich erinnere mich besonders an eine junge Frau mit Migrationshintergrund. Es war ein ziemlich schwieriger Start, aber mein Erfolg war, dass ich während des Spätdienstes die Gelegenheit hatte, mit ihr zu reden, sie abzuholen und ihr zuzusprechen, dass wir für alles einen Weg finden würden. Ich konnte für eine junge Frau, die so weit weg von ihrer Familie lebt, für eine kurze Zeit eine Bezugsperson sein.

Rücken wir den Fokus auf euch: Was gibt euch tägliche Motivation im Pflegeberuf?

Gwen Gehrecke: Für mich sind es zwei Dinge: Erstens, dass ich mit wenig viel bewirken kann, mit dem, was ich weiss, kann und wie ich bin. Zweitens, dass unsere Arbeit so essenziell ist. Wir erleben die Menschen ungeschminkt und ohne Masken. Wenn Menschen mit Krankheit konfrontiert sind, befinden sie sich in einem Ausnahmezustand und damit kommen wir meist nur durch unseren Beruf in Berührung.

Debora Wahrenberger: Das finde ich auch, ebenso wie das Ganzheitliche an unserer Tätigkeit. Den Menschen sagen zu dürfen, was sie in gewissen Bereichen optimieren können, oder gemeinsam mit ihnen die tiefen Fragen des Lebens zu betrachten. Es ist das Privileg einer Pflegefachperson, dass wir uns frühzeitig mit Themen auseinandersetzen müssen, über die sich andere noch lange keine Gedanken machen.

Und was macht ihr, wenn ihr mal durchatmen wollt oder Abstand braucht?

Gwen Gehrecke: Eine Strategie ist für mich die Ablenkung: das kann ein Film sein, eine Serie, aber auch ein gutes Gespräch und der Austausch mit anderen Menschen. Ich gehe auch gerne in den Garten, er ist mein Lernfeld, weil ich eigentlich nie fertig damit bin. Dort geht es nicht unbedingt darum, etwas Bestimmtes zu schaffen, sondern meinen Gedanken freien Lauf zu lassen.

Debora Wahrenberger: Für mich ist der Ausgleich schon dadurch gegeben, dass ich ein 60-Prozent-Pensum gewählt habe. Pflege ist für mich ein Teil im Leben, aber nicht der Hauptteil. Ich gehe zwar nicht in den Garten, aber ich gehe in die Küche – mein erster Beruf ist Köchin, ich koche und backe sehr gerne. Und mehr und mehr lerne ich auch, einfach mal nur zu sein.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick nach vorn: Was wünscht ihr euch für die Zukunft von «Visit»?

Gwen Gehrecke: Ich wünsche mir, dass «Visit» in der Politik Fuss fasst, dass es ein festes Angebot des Gesundheitssystems wird und vor allem, dass es abrechenbar wird. Das ist derzeit das grösste Problem in der Schweiz, während «Hospital at Home» in vielen anderen Ländern schon seit Jahren etabliert ist.

Debora Wahrenberger: Aus operativer Sicht wünsche ich mir ein voll ausgestattetes Pflegeteam und eine gewisse Kontinuität, was das Patientenaufkommen betrifft. Längerfristig wünsche ich mir auch, dass sich «Hospital at Home», in welcher Form auch immer, in der Schweiz etabliert hat.

Porträt einer lächelnden Frau mit Brille und weißem Oberteil.

Gwen Gehrecke

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