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Arbeitswelt

«Da sein, wo Worte fehlen» – Klinische Seelsorge am Spital Zollikerberg

Pfr. Stefan Morgenthaler

Pfr. Stefan Morgenthaler

6. August 2025

lesezeit

5 min

Klinische Seelsorge ist mehr als ein Gespräch – sie bedeutet achtsame Begleitung in Zeiten von Krankheit, Krisen und existenziellen Herausforderungen. Im Interview spricht Pfarrer Stefan Morgenthaler über seine Erfahrungen als Spitalseelsorger, über stille Momente der Nähe, den Umgang mit Ohnmacht – und darüber, warum es oft nur wenig braucht, um Menschen in schwierigen Situationen Halt zu geben.

Was unterscheidet die klinische Seelsorge von anderen Formen seelsorglicher Begleitung – insbesondere im Umfeld eines Akutspitals?

Da es sich oft um einmalige Begegnungen handelt, ist es besonders wichtig, rasch einen Raum des Vertrauens zu schaffen. Das gelingt durch ein transparentes und klares Auftreten, ein gutes Erfassen der Gesamtsituation und ein gemeinsames Hinschauen mit den Patient:innen: Was braucht es im Moment? Was könnte stärken? Auch in kurzen Begegnungen kann viel Lebensenergie spürbar werden – oft ganz ohne viele Worte.

Wie begleiten Sie Patient:innen in existenziellen Krisen – etwa nach belastenden Diagnosen oder vor einem schweren Eingriff?

Es geht darum, möglichst gut zu erspüren, wo die Patient:innen im Moment stehen: Befinden sie sich noch in einer Schockphase? Welche Gedanken, Ängste oder Hoffnungen beschäftigen sie? Die seelsorgerliche Begleitung muss sich diesen individuellen Situationen anpassen. Alles, was Orientierung und Halt gibt, kann hilfreich sein – auch wenn das je nach Person sehr unterschiedlich aussieht.

Auch Angehörige stehen oft unter grossem Druck. Wie begegnet ihnen die Seelsorge – und was können Sie in solchen Situationen bewirken?

Zunächst ist es wichtig, Raum für ihre Erzählung zu geben. Oft geht es dann darum, gemeinsam herauszufinden, was ihr persönlicher Beitrag in der Situation sein könnte. Dabei helfen Unterscheidungen: Was sind ihre eigenen Bedürfnisse, was sind jene der Patientin oder des Patienten? Ich ermutige Angehörige, ihrer Intuition zu vertrauen, sich nicht zu sehr an starren Vorstellungen zu orientieren und das Gute zu sehen, das sie bereits tun. Manchmal biete ich auch ein Ritual oder ein Gebet an. Und ich bestärke sie im Vertrauen, dass die Patientin oder der Patient ihren bzw. seinen eigenen Weg finden darf – und dass es nicht ihre Aufgabe ist, alles abzunehmen oder zu lösen.

Wie gehen Sie mit spirituellen Fragen, Zweifeln oder Hoffnungen um, wenn Menschen selbst keinen religiösen Bezug haben?

Es kann hilfreich sein, gemeinsam mit den Patient:innen auf biografische Erfahrungen zurückzublicken: Was hat in schwierigen Zeiten getragen? Was hat geholfen? So entsteht manchmal ein Gefühl von Geborgenheit – vielleicht das Empfinden, unter einem guten Stern zu stehen oder von einem Schutzengel begleitet zu sein, auch ohne religiöse Bindung. Manchmal leite ich die Patient:innen an, sich meditativ an einen persönlichen Kraftort zu begeben oder innere Bilder zu finden, die Stärke und Trost vermitteln. Es geht auch darum, gemeinsam zu entdecken, was trotz allem noch möglich ist – und worauf man sich vielleicht wieder freuen kann. Ziel ist es, Hoffnung zu wecken und neue Perspektiven zu öffnen.

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Seelsorge und anderen Berufsgruppen – wie Pflege, Ärzt:innen oder Psychologie – konkret aus?

Die Seelsorge ist Teil der interprofessionellen Zusammenarbeit, etwa in Rapporten in der Palliative Care, Akutgeriatrie oder der ambulanten Onkologie. Dort tauschen wir uns über die Betreuung aus – immer mit dem Ziel, die Patient:innen möglichst ganzheitlich und nach ihren individuellen Wünschen zu begleiten. Darüber hinaus engagieren wir uns in Weiterbildungen und Gremien wie dem Ethikforum. Je präsenter wir auf den Stationen sind, desto stärker werden wir auch ins Behandlungsteam eingebunden – was einen echten Mehrwert für alle Beteiligten schafft.

 

Gibt es typische Missverständnisse über Ihre Arbeit im Spital, die Sie immer wieder erleben – und wie begegnen Sie ihnen?

Ein häufiges Missverständnis ist, dass man religiös sein oder einer Kirche angehören müsse, um die Seelsorge in Anspruch zu nehmen. Oder dass unser Besuch automatisch mit Sterben oder Abschiednehmen zu tun habe. Hier ist regelmässige Aufklärung wichtig – sowohl bei Patient:innen als auch im Team. Die Seelsorge steht allen offen, auch dem Spitalpersonal – kostenlos, vertraulich und unabhängig. Denn wir sind nicht beim Spital angestellt, sondern durch die Kantonalkirchen – das garantiert eine gewisse Distanz und eine neutrale Perspektive im Klinikalltag.

In einem Umfeld, das stark von Zeitdruck und medizinischen Abläufen geprägt ist: Wie bewahren Sie den Raum für Präsenz, Stille und persönliche Begegnung?

Das gelingt durch eigene spirituelle Praxis, durch bewusste Pausen und durch innere Sammlung zwischen Gesprächen. Wichtig ist auch die kritische Reflexion des eigenen Tuns: Was motiviert mich gerade? Wem dient es? Ist es wirklich notwendig – und hilfreich? Auf diese Weise gelingt es, trotz aller Betriebsamkeit achtsam und präsent zu bleiben.

Portraitfoto

Pfr. Stefan Morgenthaler

Evangelisch-reformierter Spitalseelsorger

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