Wenn Musik Babys stärkt: Ein Blick hinter die Kulissen der Neonatologie
Stefanie Christen
14. November 2025
7 min
Musik kann beruhigen, verbinden und heilen – besonders für Frühgeborene, deren zarte Entwicklung und emotionale Bindung besonders gefördert werden muss. Stefanie Christen, Musiktherapeutin an der Klinik für Neonatologie des Spitals Zollikerberg, erzählt im Interview von berührenden Momenten, den Methoden ihrer Arbeit und wie Musik Babys und Eltern gleichermassen Kraft und Nähe schenkt.
Einblicke von Stefanie Christen
- Beruf der Musiktherapie und die Motivation dahinter
- Wie Musiktherapie unterstützt
- Besonderen Herausforderungen und Chancen in der Arbeit mit Neogeborenen
- Ablauf einer Musiktherapie-Session
- Instrumente und Methoden
- Ein berührendes Erlebnis aus der Praxis
- Umgang mit emotional herausfordernden Situationen
- Finanzierung der Musiktherapie
Wie sind Sie ursprünglich auf den Beruf der Musiktherapeutin aufmerksam geworden und was hat Sie dazu motiviert, diesen Weg einzuschlagen?
Ich habe gehört, dass es an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) in Zürich ein berufsbegleitetes Studium für klinische Musiktherapie gibt. Da ich bereits einen therapeutischen Beruf habe, immer gerne Musik hatte und mich weiterentwickeln wollte, war ich motiviert, diese Weiterbildung zu absolvieren. Ich hatte zudem mehrere berührende Erlebnisse, die mich zusätzlich motiviert haben.
Eines war das Sterben meiner Grossmutter. Ich konnte sie am Lebensende mit der Stimme und mit Berührung begleiten. Dazu kam eine Doku über die Musiktherapie mit Frühgeborenen, welche mich sehr angesprochen und mir gefallen hat. Die dritte Erfahrung war am Meer, als ich für Delfine gesungen habe, welche dann lange in naher Distanz im Wasser verweilten. Das waren alles spezielle Erlebnisse, die mich motiviert haben, den Beruf zu lernen.
Wie hilft Musiktherapie bei der Entwicklung von Frühgeborenen?
Frühgeborene haben noch ein unreifes Nervensystem, eine unausgereifte Sinnesverarbeitung und häufig Schwierigkeiten, Reize zu regulieren. Musiktherapie setzt hier gezielt an, um Entwicklung, körperliche Stabilität sowie die Bindung zwischen Eltern und Kind zu unterstützen und zu begleiten.
Musiktherapie fördert die körperliche Regulation: Sanfte, rhythmische Klänge (zum Beispiel Summen und/oder Wiegenlieder) können Herz- und Atemfrequenzen beruhigen. Studien zeigen, dass sich die Sauerstoffsättigung im Blut während und nach den Musiktherapiesitzungen verbessern kann.
Musik kann helfen, Stresshormone zu vermindern und Entspannung zu fördern. Zudem aktivieren die Klänge die neuronalen Vernetzungen über die akustischen Reize.
Welche besonderen Herausforderungen und Chancen sehen Sie bei der Arbeit mit kranken Neugeborenen?
Die medizinischen und pflegerischen Massnahmen bei kranken Neugeborenen stehen im Spital an erster Stelle. Es braucht gute Absprachen, und es ist wichtig, ein krankes Neugeborenes gut zu beobachten und feinfühlig zu begleiten. Die Erholung und der Schlaf sind ebenfalls wichtig, damit es nicht zu vielen Reizen ausgesetzt wird.
Wie sieht eine typische Musiktherapie-Session im Spital Zollikerberg aus? Können Sie uns den Ablauf und die Atmosphäre beschreiben?
Die Eltern werden zuerst gefragt, ob sie Musiktherapie für Ihr Kind befürworten. Wenn dies möglich ist, ist es schön, wenn die Eltern dabei sein können und das Baby bei ihnen im Känguru auf der Brust liegen kann. Dieser enge Körperkontakt ist für die Babys und für die Bindungsentwicklung sehr wichtig. Sie können sich geboren fühlen, riechen, hören und spüren so ihre Eltern am liebsten. Ich setze mich in diesem Fall neben die Mutter oder zwischen die Eltern und berühre sie mit einem Körpermonochord am Ellbogen oder am Arm. Diese Klänge übertragen sich auf das Kind. Dann summe oder singe ich Töne, Wiegenlieder oder begleite die Eltern, falls sie selbst summen oder singen möchten. Dieses Zusammensein ist oft sehr berührend und ergibt eine warme, verbindende und wohlige Atmosphäre, in der sich oft auch die Eltern entspannen können – nicht nur das Kind.
Wenn die Eltern nicht dabei sein können, berühre ich das Kind sanft im Inkubator und summe oder singe Töne und einfache Melodien, die ich individuell seiner Atmung, Bewegung und Mimik anpasse und so auf das Kind reagiere.
Welche Instrumente und Methoden kommen in der Musiktherapie zum Einsatz und warum gerade diese?
Die kreative Musiktherapie nach Friederike Haslbeck basiert auf der Idee, dass Musik – und insbesondere die menschliche Stimme – eine Brücke zwischen Eltern und Frühgeborenen schafft. Da Frühgeborene noch sehr empfindlich sind, wird keine laute Musik, sondern live improvisierte, fein auf das Baby abgestimmte Musik verwendet. Als Begleitinstrument verwende ich (wie F. Haslbeck) oftmals ein Körpermonochord, das speziell für die Neonatologie von einem Instrumentenbauer gebaut wurde. Es klingt ähnlich wie das «wellenhafte Rauschen» im Mutterbauch und ist für viele Babys entspannend.
Es gibt auch andere Methoden und Instrumente, die in der Musiktherapie mit Frühgeborenen zum Einsatz kommen, zum Beispiel Kalimba, Hangdrum, Harfe, Gitarre und weitere Saiteninstrumente. Ich persönlich verwende die kreative Musiktherapie nach F. Haslbeck, da ich mich in diesem Bereich bei ihr fortgebildet habe.
Gibt es wissenschaftliche Studien oder Belege, die die Wirksamkeit der Musiktherapie bei Neugeborenen untermauern?
Ja, es gibt verschiedene grosse Studien, auch Metaanalysen, die vor allem die kurzfristigen Wirkungen der Musiktherapie beschreiben. Zudem gibt es auch bildgebende/physiologische Studien über die Wirkung von Musiktherapie. Es gibt bisher einige Studien, die Hinweise auf Langzeiteffekte (kognitive/ neurodevelopmentale Effekte) zeigen. Es gibt noch wenige Langzeitstudien über mehr als zwei Jahre; gut kontrollierte Trials fehlen dort.
Gab es Momente, die Sie besonders berührt oder beeindruckt haben? Können Sie mit uns eine Erfahrung teilen?
Ich kann mich an einen Vater erinnern, der seinem Jungen das erste Mal in der Musiktherapie ein Lied vorgesungen hat. Der Vater hatte seinem Sohn das Lied bereits vorgesungen, als er noch im Bauch war. Der Junge öffnete die Augen und sie schauten einander zum ersten Mal an. Der Vater war sehr erfreut, überrascht und berührt. Es wurde «ihr gemeinsames Lied». Mich hat diese Situation ebenfalls sehr gefreut und sie berührt mich immer noch, wenn ich sie mir vorstelle und mich daran erinnere.
Wie gehen Sie mit emotional herausfordernden Situationen in Ihrem Beruf um?
Die Selbstwahrnehmung und Reflexion sind wichtige Bereiche, um solche Situationen zu erkennen. Ich versuche, mich mit bewusster Atmung selbst zu regulieren und im Alltag gut auf mich zu achten, um in einer möglichst gesunden Balance zu bleiben.
Ab und zu nehme ich Supervision wahr und führe kollegiale Gespräche mit anderen Musiktherapeutinnen und -therapeuten. Dort kann ich Erlebnisse oder Emotionen teilen.
Im Team der Klinik für Neonatologie des Spitals Zollikerberg fühle ich mich wohl und kann mich auch austauschen, wenn ich das Bedürfnis habe.
Ich pflege soziale Kontakte und achte auf Dinge, die mir guttun. Regelmässige Erholung, genügend Schlaf und Bewegung in der Natur, Lesen sowie Musik machen und hören sind für mich wesentliche Mittel, um aufzutanken.
Wie wird die Musiktherapie finanziert?
Die Musiktherapie ist heute eine anerkannte Therapie. Sie gehört zu den kreativen Therapien und kann grundsätzlich zu einem Teil über die Zusatzversicherung abgerechnet werden. Leider hat die Finanzierung im Alltag noch nicht Einzug gehalten. Deshalb wurde die Finanzierung im Spital Zollikerberg in den ersten Jahren von der Stiftung Art Therapie finanziert und unterstützt. Aktuell wird unsere Musiktherapie über die Amman Stiftung finanziert.
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Welt-Frühgeborenen-Tag
17. November 2025
Am 17. November 2025 laden wir Sie herzlich ein, den Welttag der Frühgeborenen bei uns im Spital zu feiern. Von 9 bis 16 Uhr finden Sie in der Eingangshalle des Spitals unseren Infostand mit Informationen, Austausch und Tipps rund um die Versorgung und Förderung von Frühgeborenen.


